In Umfeldern oder Zeiten, die von hoher Unsicherheit gekennzeichnet sind, empfiehlt es sich nicht, alle Aufmerksamkeit und alle Ressourcen auf eine Karte zu setzen. Erfassen Sie in solchen Umfeldern oder Zeiten die wahrscheinlichsten gesellschaftlich, technologisch, gesetzlich und/oder politisch geprägten Szenarien und ergreifen Sie Initiativen für jedes dieser wahrscheinlichen Szenarien gleichzeitig, aber vorsichtig, ohne sich zu „verausgaben“.
Bleiben Sie achtsam dafür, ob es Verschiebungen der Wahrscheinlichkeiten gibt, und verschieben Sie Ihre eingesetzten Ressourcen entsprechend den Erwartungen an die Zukunft. So halten Sie sich für die wesentlichen Entwicklungen vorbereitet. Je stärker sich auf diesem Weg eines der Szenarien als wahrscheinlich herauskristallisiert, desto gezielter können Sie Ihre Ressourcen auf dieses Szenario konzentrieren. Bis dahin haben Sie zwar auch andere Szenarien „bedient“, aber Sie fangen dann nicht bei null an. Sie sind im Spiel.
Beispiel 1: Im Corona-Jahr 2020 befürchtete das Management eines Urlaubshotels, dass in der Corona-Zeit keine Zimmer an Urlaubsgäste vermietet werden dürfen. Alternativ wurde dem Hotel angeboten, Zimmer für weniger Geld an die Kommune zu vermieten, um Personen in Quarantäne zu beherbergen. Würde sich das Hotel-Management für diese Option entscheiden, könnte es mit gewissen Einnahmen rechnen, würde sich aber die Option verbauen, das Hotel normal zu belegen.
Das Management entschied sich für einen kurzfristigen Vertrag mit der Kommune, der genauso kurzfristig gekündigt werden kann. So sicherte sich das Management gewisse Einnahmen, hätte den Schalter aber schnell umlegen können, wenn sich die Lage entspannen sollte. Es entschied sich für ein Sowohl-als-auch und konnte die Corona-Zeit durch diese Entscheidung überstehen.
Beispiel 2: Als Ende der 1970er Jahre Videokassettensysteme in den Markt eingeführt wurden, waren verschiedene alternative Technologien (das japanische VHS-Format, Betamax von Sony und VCR oder Video 2000 von Grundig und Philips) verfügbar, die aber nicht kompatibel waren. Hersteller von Videorecordern legten sich mit ihren Geräten auf eines dieser Formate fest, ohne zu wissen, welches Format sich als Standard im Markt durchsetzen würde. Am Ende setzte sich das VHS-Format durch, weil Videotheken überwiegend VHS-Kassetten anboten. Alle Hersteller mussten bei dem japanischen Hersteller JVC bauen lassen oder eine Lizenz erwerben, um am Markt zu bleiben.
Die europäischen Hersteller hatten die Marktdynamik falsch eingeschätzt und sie auch nicht in ihrem Sinn beeinflusst. Sie hatten sich aber auch nicht breit genug aufgestellt, um im eingetretenen Fall der Durchsetzung eines anderen Formats handlungsfähig zu bleiben.
Beispiel 3: Ein Maschinenbauer fertigt Maschinen, die weltweit eingesetzt werden. Um Fehler an den Maschinen im Feld zu diagnostizieren, muss das Unternehmen in alle Länder, in die es Maschinen verkauft, Spezialisten entsenden. Alternativ ermöglicht die mittlerweile verfügbare Technologie eine Ferndiagnose. Sensoren können Daten über das Internet an die Instandhaltung im Werk des Maschinenbauers senden. Zusätzlich können Kameraaufnahmen versendet werden. Dadurch kann in vielen Fällen die Diagnose ohne Reiseaufwand erfolgen. Ersatzteile können an Kunden zur Montage vor Ort versandt werden. Unklar ist noch, ob Kunden diese Technologie annehmen werden oder einen Monteur des Maschinenbauers vor Ort sehen wollen. Werden Kunden neue Maschinen bestellen, wenn sie erfahren, dass sie bei einem Maschinenausfall kein Monteur besuchen wird?
Weil die Entwicklung noch unklar ist, entscheidet sich der Maschinenbauer für beides: Der Vor-Ort-Service wird ausgebaut und die Fernwartung wird entwickelt. Die Zeit wird zeigen, ob sich die Fernwartung durchsetzen lässt.
Der Erfolg von Initiativenportfolio-Strategien hängt von einer disziplinierten Freigabe von Stagegates, also Entwicklungsphasen (Stagegates) ab. Dabei sind der Entscheidungsprozess für Innovationen und die Marktforschung relevant.