Komplexe Sachverhalte in der Wirtschaft

Komplexe Sachverhalte in der Wirtschaft: eine Definition

Komplexe Sachverhalte zeichnen sich durch eine wechselseitige Beeinflussung vieler Beteiligter aus. Jede Beeinflussung löst eine veränderte Verhaltensweise des Beeinflussten aus, die sich wiederum auf alle anderen Beteiligten auswirkt. Aus einer solchen Konstellation können sich völlig unerwartete Ereignisse ergeben: Es können exkalierende Entwicklungen oder stagnierende Situationen entstehen, und es kann zu einer Trendumkehr führen. Je schneller sich die Interaktionen zwischen den Beteiligten abspielen, desto dynamischer werden diese Entwicklungen. Es kommt dann zu dynamischer Komplexität.

Beispiele für Komplexität in der Wirtschaft

Um komplexes Verhalten zu veranschaulichen, bieten sich die folgenden Beispiele an:

Elektromobilität: Die Marktentwicklung der Elektromobilität ist ein Beispiel für komplexe Zusammenhänge. Mehrere Akteure sind aufeinander angewiesen, damit der Markt für die Elektromobilität entstehen und wachsen kann. Die Fahrzeughersteller brauchen Batteriehersteller. Autofahrer brauchen nicht nur Fahrzeuge, sondern auch eine Ladeinfrastruktur. Die Ladeinfrastruktur entsteht aber nur, wenn hinreichend Elektrofahrzeuge unterwegs sind. Die Gesellschaft hat ein Interesse an nachhaltigem Wirtschaften. Das setzt voraus, dass Batterien entweder einer Nachnutzung zugeführt oder recycelt werden. Die Marktteilnehmer, die Nachnutzungs- oder Recycling-Möglichkeiten schaffen möchten, brauchen hinreichend Altbatterien aus den Elektrofahrzeugen. Eine Orchestrierung aller Beteiligten ist erforderlich, um den Markt für Elektromobilität zu entwickeln. Die Entwicklung kann durch Subventionen und Kommunikation unterstützt werden.

Globale Wirtschaft: Mit der Wirksamkeit der coronabedingten Beschränkungen seit März 2020 wurde die deutsche mittelständische Wirtschaft erheblich geschwächt. Asiatische Produzenten fielen aus, worunter die deutsche Wirtschaft litt. Die Politik nahm sich vor, die Unabhängigkeit von asiatischen Unternehmen zu fördern. Erreicht wurde das Gegenteil: Viele Großunternehmen stellten ihre Produktion in dieser Zeit komplett ein, um ihre Mitarbeiter zu schützen. Sie waren entweder hinreichend kapitalstark, um die schwierige Zeit zu überbrücken, oder wurden als systemrelevante Unternehmen gestützt. Das hatte Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette. Von einem auf den anderen Tag richteten viele Großunternehmen, insbesondere in der Automobilindustrie, keine Abrufe mehr an ihre Lieferanten. Viele dieser Lieferanten sind mittelständische deutsche Firmen, die nicht alle die notwendige Kapitalstärke hatten, um einen solchen Abbruch des Auftragseingangs zu ünberstehen. Die angekündigte staatliche Unterstützung kam für manche dieser Unternehmen zu spät. Sie gerieten in die Insolvenz. Asiatische Unternehmen eigneten sich das Know-how der deutschen Lieferanten schnell an und übernahmen die Rolle der deutschen Unternehmen in den Lieferketten. So nahm die Abhängigkeit deutscher Unternehmen von asiatischen Lieferanten nahm in dieser Zeit zu statt abzunehmen. Die Komplexität wurde unterschätzt.

Komplexe Sachverhalte verstehen und sinnvoll damit umgehen

Bei komplexen Sachverhalten bietet sich typischerweise kein Lösungsweg und keine Lösung unmittelbar an. Entscheidungen müssen prinzipbedingt aufgrund unvollständiger Information getroffen werden. Man muss sogar erkennen und akzeptieren, dass gewisses Wissen nicht verfügbar ist (Nicht-Wissen). Das ist ein ganz wesentlicher erster Schritt. Da in der Regel nicht unmittelbar durch mathematische Funktionen, die die Zusammenhänge beschreiben erkennbar sind, greifen einfache logische Lösungsansätze nicht. Unberechenbarkeit und Wandel sind eng mit komplexen Sachverhalten verbunden.

Es scheint keine begründbar „richtigen“ Antworten zu geben, die Bestand haben. Als Beispiele sei die Beobachtung immer größerer Budgetabweisungen und geplanter Szenarien, die nicht eintreten, angeführt. Unkonventionelle Herangehensweisen wie das Verfahren der Mustererkennung, kombiniert mit geführtem Experimentieren und das Beibehalten möglichst großer Flexibilität können in komplexen Umfeldern brauchbare Lösungen herbeiführen. Aber auch einfach abzuwarten, bis sich Konturen abzeichnen, die eine bessere Einschätzung der Lage ermöglichen, kann ein Erfolg versprechender Lösungsansatz sein. In komplexen Umfeldern werden voraussichtlich weder Sachbearbeiter noch Experten, die sich mit den unterliegenden Sachthemen auskennen, zu Lösungen kommen. Gebraucht werden Experten, die auf einer Metaebene nach Lösungen suchen, beispielsweise durch Data-Mining und datengestütztes Business Analytics.

In komplexen Umfeldern ist es vor allem wichtig, Unternehmen so flexibel aufzustellen, dass sie flexibel auf veränderte Umfeldbedingungen reagieren können. Je anpassungsfähiger Ihr Unternehmen ist, desto resilienter ist es. Anders gesprochen: Je beweglicher Ihr Unternehmen ist, desto besser können Sie es stabilisieren. Der vermeintliche Widerspruch, der in diesem Satz steckt, erschließt sich jetzt wohl von allein.

Aber auch wachsames Beobachten hilft. Statt in Unsicherheiten zu denken, denken Sie in Wahrscheinlichkeiten. Das führt Sie gedanklich aus der Wahrnehmung heraus, überhaupt nicht vernünftig auf komplexe Entwicklungen reagieren zu können. Außerdem können Sie Ihr Bewusstsein für Faktoren schulen, die Entwicklungen beschleunigen oder dämpfen. Sie können „Sensoren“ in Ihrem Unternehmen installieren, um relevante Informationen zu erhalten, die Entwicklungen erkennen lassen, und „Feedback-Prozesse“ einführen, um wirksam darauf zu reagieren. So können Sie Ihr Unternehmen stabilisieren, indem Sie die Auswirkungen von Veränderungen in Ihrem Umfeld auf Ihr Unternehmen dämpfen.

Die nächste Stufe sind chaotische Sachverhalte.

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