In komplexen und dynamischen Umfeldern wird eine hohe Anpassungsfähigkeit verlangt. Leider sind Organisationen oft zu träge, um rasch und effektiv auf Umfeldveränderungen reagieren zu können.
Im Tierreich beobachten wir eine erheblich raschere und konsequente Reaktion ganzer Schwärme auf Impulse. Schwärme bewegen sich wie ein einheitlicher Organismus. Dabei ist keines der gleichartigen Tiere als Leittier definiert: Vielmehr beobachten alle Tiere aufmerksam ihr Umfeld. Bemerkt ein Schwarmtier eine Gefahr oder eine Beutequelle, ändert es unmittelbar seine Richtung. Diese Bewegung ist für alle benachbarten Tiere ein Signal, das sie aufnehmen und sofort nachahmen. Deren Nachbarn wiederum nehmen diese Bewegungsänderung auf und setzen sie ebenfalls um, bis der gesamte Schwarm die Veränderung durchgeführt hat. Man nennt dieses schnelle Weiterleiten von Alarmsignalen Trafalgar-Effekt.
Schwarmtieren ist dieser Kopierimpuls – anders als uns Menschen – genetisch angeboren. Die einzelnen Tiere profitieren durch ihre Organisation im Schwarm von der kollektiven Beobachtung aller Tiere im Schwarm. Der Schwarm wird eng zusammengehalten, weil die Natur den Tieren mitgegeben hat, dass sie im Inneren des Schwarms die höchste Überlebenschance haben, weil hier (i) die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass sie gefressen werden, weil (ii) die Wahrscheinlichkeit steigt, sich paaren zu können und den Schwarm zu verstärken und weil (iii) ein Schwarm Räuber wirksamer abschrecken kann als einzelne Tiere.
Schwarmverhalten ist also rational und sinnvoll. Was hindert uns daran, in Unternehmen Schwarmverhalten zu implementieren, so dass alle Organisationsmitglieder rasch gemeinsame Bewegungen ausführen?
Mit diesem Thema befassen sich Verhaltensforscher und Organisationsentwickler. Auch Andreas Remer und Sophia Lux von der Universität Bayreuth haben sich mit dieser Materie auseinandergesetzt und kommen zu interessanten Ergebnissen, die als Hinweise für Unternehmen dienen können.
Remer und Lux stellen fest, dass das Erfolgskonzept von Schwarmtieren auf Zusammenhalt und auf der Fähigkeit zur schnellen Selbstkoordination beruht. Sie bemerken, dass das Schwarmverhalten bedingungsloses Vertrauen voraussetzt (s. auch Luhmann, Niklas: Vertrauen ? Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Uni-Taschenbücher 1973).
Soziale Gemeinschaften werden zunächst durch die Homogenität ihrer Mitglieder zusammengehalten (Durkheim, E.: Über soziale Arbeitsteilung, Suhrkamp 1996, S. 156 f.). Wenn Gemeinschaften wachsen, beginnen die Mitglieder irgendwann, mehr Wert aus der Heterogenität und der damit verbundenen Komplementarität zu schöpfen (Durkheim, E.: Über soziale Arbeitsteilung, Suhrkamp 1996, S. 183 und 336). Größere Gemeinschaften können deshalb den Zusammenhalt der Mitglieder stärken, indem sie eine Individualisierung ihrer Mitglieder fördern. Damit hätten wir zunächst „den Schwarm“ selbst.
In Anlehnung an Tierschwärme kann das rasche „Schwarmverhalten“ von Unternehmen offenbar gefördert werden, indem das gegenseitige Vertrauen der Mitglieder gestärkt und die Mitglieder über den Zweck und die Arbeitsweise der Organisation möglichst gut aufgeklärt werden. Die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen kann offenbar durch sinnstiftende, systemische Führung und gute Kommunikation maßgeblich verbessert werden.
Die Schwarmintelligenz ist auch ein wertvoller Baustein für agiles Arbeiten.